September 19, 2023

In China muss man nur ein paar wichtige Leute überzeugen, dann wird es umgesetzt

Original Articel in des NZZ : Startups in China: Schweizer Gründer hoffen auf Investoren und Zulieferer (nzz.ch)

«In China muss man nur ein paar wichtige Leute überzeugen, dann wird es umgesetzt»

Original Articel in des NZZ : Startups in China: Schweizer Gründer hoffen auf Investoren und Zulieferer (nzz.ch)

«In China muss man nur ein paar wichtige Leute überzeugen, dann wird es umgesetzt»: warum manche Schweizer Startups auf das kriselnde Land hoffen

Trotz Wirtschaftsflaute und Autoritarismus hat China für ausländische Firmen einiges zu bieten: Lieferanten und Kunden, Technologiepartner und Geldgeber. Unterwegs mit einer Schweizer Delegation.

Matthias Sander

Die Schweizer Startups haben Chongqing besucht, eine Millionenmetropole am Jangtse-Fluss in Chinas Südwesten. Die Stadt hat sich als wichtiger Standort der Elektronik- und Automobilproduktion einen Namen gemacht hat.

«Zwei bis vier Millionen Franken, die findet man nicht in der Schweiz?» – «Nein, das ist schon zu viel.»

Ein Mittagessen in Chongqing, einer Metropole im Südwesten Chinas mit rund 15 Millionen Einwohnern. Im SinoSwiss TechnoPark machen Schweizer Startup-Gründer Pause und unterhalten sich über ihre Firmen.

Frank Otto Gombert findet für sein Basler Antibiotika-Startup Selmod nicht genug Geld. Im ersten Halbjahr sind die Investitionen in Schweizer Startups um mehr als die Hälfte eingebrochen, nach zwei Boomjahren. Das durchschnittliche Investment sank laut dem Fachportal startupticker.ch auf 1,4 Millionen Franken. Deshalb versucht Gombert sein Glück nun in China.

Schweizer Startups mit Deutschen und Chinesen

Mit ihm sind rund 20 Vertreter von überwiegend Schweizer Jungfirmen nach Chongqing geflogen, um Anfang September am Startup-Wettbewerb im SinoSwiss TechnoPark teilzunehmen. Es ist eine bunte Gruppe aus Schweizern und Deutschen, Chinesen und auch einem Amerikaner und einer Rumänin. Manche kamen wegen eines Doktorats an der ETH oder der EPFL in die Schweiz und wollen akademische Forschung nun kommerzialisieren.

Das Startup Swistor etwa will grosse Strommengen nachhaltig in sogenannten Superkondensatoren speichern. Die Stiftung Eurotube will sogenannte Hyperloop-Züge bauen, die durch Vakuumtunnel sausen. Swiss Airtainer will den Flugtransport von Medikamenten in Kühlcontainern umweltfreundlicher und günstiger machen.

Viele Gründer scheinen Chinas Wirtschaftskrise und der Autoritarismus von Partei- und Staatschef Xi Jinping wenig zu beschäftigen. In Europa sehe es wirtschaftlich ja auch nicht rosig aus, sagt einer. China habe in den vergangenen Jahrzehnten ein Wirtschaftswunder geschaffen und bekomme zu Unrecht negative Presse, findet ein anderer. Eine Frau sagt, sie habe preislich wohl keine andere Wahl, als in China produzieren zu lassen.

Manche Startup-Gründer haben bisher vor allem Businesspläne, andere schon Produkte und Kunden. Entsprechend unterscheiden sich ihre Ziele in China: nur den Markt studieren – oder gleich entern. Potenzielle Lieferanten kennenlernen – oder die bestehende Lieferkette optimieren. Manche denken an chinesische Technologiepartner. Und Geld kann man immer gut gebrauchen.

David Guan, der chinesische Co-Gründer des Basler Biopharma-Startups SunRegen, sucht in seiner Heimat fünf Millionen Franken. Guans Tischnachbar beim Mittagessen ist überrascht, dass Schweizer Investoren bei SunRegen nicht Schlange stehen. Schliesslich habe die Firma gute Studienresultate und ein erstes marktfähiges Produkt, sagt er zu Guan. «Der Ball liegt schon am Elfmeterpunkt. Du musst nur überleben, bis du aufs Tor schiessen kannst.»

Der SinoSwiss TechnoPark in Chongqing öffnete 2018. Heute ist er offiziell zu 30 bis 40 Prozent ausgelastet.

Die Schicksale der Startups können gleich nach dem Mittagessen eine entscheidende Wendung nehmen. Dann steht der wichtigste Programmpunkt der fünftägigen Reise an, das «Matchmaking», also das Kennenlernen mit potenziellen Lieferanten, Partnern und Investoren. Eine Chinesin, die mit diesem Satz lieber nicht namentlich zitiert werden will, sagt: «In China muss man nur ein paar wichtige Leute überzeugen, dann wird es umgesetzt.»

Der SinoSwiss TechnoPark ist auch ein immobilienprojekt

Organisiert wird der Startup-Wettbewerb in Chongqing seit 2018 von der chinesischen Fenshare-Holding, die den SinoSwiss TechnoPark betreibt. Es ist eine sehr chinesische Geschichte. Fenshare, so erzählt es der Schweizer Mitarbeiter Raphael Zumsteg-Yuan, wurde als Vertriebspartner für die Klimaanlagen des südchinesischen Anbieters Gree gross.

Mit dem verdienten Geld diversifizierte Fenshare sich, wie so viele chinesische Unternehmen, in die Bereiche Immobilien und Technologie. Der SinoSwiss TechnoPark verkörpert beides, womöglich inklusive Chinas Immobilienblase. Der Park im Norden von Chongqing, zwischen breiten Hochstrassen und Baustellen, ist ein schickes Ensemble von mehrstöckigen Backsteingebäuden. Er ist fünf Jahre nach seiner Eröffnung offiziell zu 30 bis 40 Prozent ausgelastet.

Tatsächlich ist das Areal weitgehend menschenleer. Nebenan baut Fenshare weitere Bürogebäude, je ein Einkaufs- und ein Kongresszentrum sowie zwei Hochhäuser. Raphael Zumsteg-Yuan versichert, dass Fenshare nicht auf Kredit baue. «Wir haben einen ziemlich langen Atem und müssen die Büros nicht unbedingt schnell füllen.» Sein Arbeitgeber habe auch schon Mieter abgelehnt, die nicht ins Konzept passten.

Die Schweizer Startups wären als Mieter hochwillkommen. Das haben die Gastgeber an jenem Vormittag fast aufdringlich demonstriert. An einer Preisverleihung wurden die besten Startups ausgezeichnet, basierend auf ihren Präsentationen zwei Tage zuvor. Der Saal im TechnoPark war voll, die eingespielte Orchestermusik bedeutungsschwer wie in einem «Star Wars»-Film, der Moderator routiniert-enthusiastisch wie ein Jahrmarktschreier.

«Dienen Sie ganz China!», sagt der Regierungsbeamte

In einer Rede nannte der CEO der Fenshare-Holding den Startup-Wettbewerb eine Brücke für Innovation und Unternehmertum zwischen China und der Schweiz. Der «Zweite Inspektor des Büros der Stadt Chongqing für Arbeitskräfte und Sozialversicherungen» zitierte den Partei- und Staatschef Xi Jinping zur grundlegenden Bedeutung von Wissenschaft und Technologie. Er forderte die Schweizer Startups auf: «Bringen Sie Ihre Ressourcen nach Chongqing, und dienen Sie ganz China und sogar der Welt insgesamt!»

Die Musik wurde ohrenbetäubend, der Moderator verkündete die Startup-Gewinner. Platz eins teilten sich die erwähnte Basler Biopharma-Firma SunRegen sowie Swiss Airtainer zum Medikamententransport. Hände schütteln, Fotos, hinsetzen. Dann rief der Moderator alle teilnehmenden Gründer auf die Bühne – für eine «Zeremonie zur Vertragsunterzeichnung», wie es im Programm hiess.

Die Startup-Vertreter besuchen einen Hafen am Jangtse-Fluss, der zu Chinas globaler Infrastrukturinitiative Neue Seidenstrasse gehört. In einer Ausstellungshalle gelobt der Parteistaat, die jahrzehntelange Politik der Reform und Öffnung weiterzuführen.

Hoppla, was für ein Vertrag? Mancher Gründer fühlte sich etwas überrumpelt. Letztlich unterschrieben alle, denn der «Vertrag» war tatsächlich ein unverbindliches Mietangebot des SinoSwiss TechnoPark. Die Startup-Gewinner bekommen zwei Jahre lang kostenlos 500 Quadratmeter Bürofläche. Andere Startups müssen für kleinere Büros umgerechnet weniger als 100 Franken im Monat zahlen.

«In der Schweiz wäre das völlig unseriös», sagt hinterher ein Teilnehmer über die «Vertragsunterzeichnung» – «aber gut, die Amerikaner machen auch gern Show.» Eine Teilnehmerin findet: «Es ist offensichtlich, dass das sehr politisch ist; dass sie zeigen wollen, dass sie Schweizer Startups anziehen können.» Nach der Zeremonie wurden der Inspektor der Stadt Chongqing und die anderen Honoratioren rasch aus dem Saal geführt. Mit ihnen gingen fast alle Fotografen.

Keines der Startups plant akut nach Chongqing zu ziehen. Aber wer weiss, vielleicht ändert sich das schon am Nachmittag, beim Kennenlernen mit den potenziellen chinesischen Partnern und Investoren.

In der Poleposition starten die Gewinner des Startup-Wettbewerbs. Tatsächlich ist insbesondere Swiss Airtainer sehr gefragt. Während einige Firmengründer neben den Plakataufstellern zu ihren Firmen auf Gesprächspartner warten, haben am Tisch des CEO Eduard Seligman schon vier Chinesen Platz genommen.

Seligmans Plan klingt bestechend: Seine Spezialcontainer zum Lufttransport von tiefgekühlten Medikamenten seien 260 Kilogramm leichter als die der Konkurrenz. Das ergebe auf einem Flug von Zürich nach Japan eine CO2-Einsparung von vier Tonnen – pro Container. Der Markt für solche Container werde bisher durch ein Duopol dominiert, es gebe wenig Innovationsdruck. Swiss Airtainer wolle das als dritter Anbieter ändern.

Der SinoSwiss Technopark ist weitgehend menschenleer. Er wird derzeit um mehrere Gebäude, zwei Hochhäuser und ein Konferenzzentrum erweitert.

Eine Übersetzerin fragt nach: «Oh, die Container sind nur zum Mieten?» «Yes!», sagt Seligman. Das ist sein Geschäftsmodell: vermieten, nicht verkaufen. «Hm», murmeln die Interessenten. Seligman stellt klar, dass er nach Geldgebern suche, um den Bau der Container zu finanzieren. Und auch nach Partnern, um die nächste Generation der Tiefkühl-Container zu entwickeln.

Wie einige Startups in Chongqing hadert Seligman in der Schweiz mit der Geldbeschaffung. Swiss Airtainer hat nach seinen Angaben 12,5 Millionen Euro an Fördergeldern verloren, als die Schweiz im Streit mit der EU aus dem europäischen Forschungsprogramm Horizon 2020 ausschied. Das Staatssekretariat für Innovation sei zwar eingesprungen, aber nur mit 2,5 Millionen Euro.

«Ah, er will Investoren», sagt einer der Interessenten. Die vier Chinesen scheinen zunehmend desinteressiert. Sie betreiben eine Fabrik und erhofften sich offenbar, Seligmans Container zu produzieren. «Es tut mir leid, wenn die Botschaft nicht korrekt wiedergegeben wurde», sagt Seligman auf Englisch. Auf seinem Handy überprüft er mit einer App, ob die Dolmetscherin vollständig übersetzt.

Ein chinesischer Rüstungskonzern ist auch interessiert

Bei anderen Startups scheint es besser zu laufen. David Guan von der ebenfalls erstplatzierten Biopharma-Firma SunRegen trifft eine vielversprechende Investorin. Frank Otto Gombert vom Antiobiotika-Startup Selmod unterhält sich länger mit dem Vertreter eines Family Office. Ein anderer Gründer geht spontan mit seinem Gesprächspartner in dessen Fabrik.

Zwei Vertreter eines Technologie-Startups, das von der Schweizer Regierung gefördert wird, verbringen als einzige den Nachmittag mit einer grösseren Delegation in einem separaten Raum. Danach werden sie zu Feuertopf und Schnaps eingeladen. Die Delegation wird angeführt von einem leitenden Manager eines staatlichen Raumfahrt- und Rüstungsbetriebs, der Nordkoreas Raketenprogramm unterstützen soll und amerikanischen Sanktionen unterliegt. Manchen Interessenten müssen die Schweizer sich wohl noch genauer anschauen.

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